Giesing - Es ist ein bewegender Vormittag, an dem in der Aussegnungshalle auf dem Ostfriedhof viele Sätze nachhallen. Doch dieser tut es besonders. "Karl ist nicht mehr, Karl schreibt nicht mehr", sagt Max Zeidler immer wieder, einer der Jahrzehnte jüngeren Freunde von Karl Stankiewitz, die ihm, der 96-jährig im Dezember gestorbenen AZ-Reporterlegende, hier die letzte Ehre erweisen.
"Karl ist nicht mehr, Karl schreibt nicht mehr", das hallt nach in der hohen, historischen Halle. Und es scheint, dass es alle hier immer noch nicht fassen können. Weil Karl Stankiewitz doch so lange alle hier denken können, immer da gewesen ist. Und: immer geschrieben hat.
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Beerdigung von Reporterlegende Karl Stankiewitz in München: "Mit Fug und Recht Reporterlegende"
Noch bis 2022 hatte Stankiewitz, der 1948 zur allersten Mannschaft der Abendzeitung gehört hatte, für die AZ gearbeitet, in hohem Alter immer weitere München-Bücher verfasst, auch die allerletzten Jahre noch einen regelmäßigen Newsletter versandt. Etwa 150 Trauergäste sind gekommen, offenbar mehr als erwartet.
Die Sitzplätze reichen nicht, so dass in der Aussegnungshalle sogar einige stehen müssen. Sie erleben eine würdige, eine schöne Trauerfeier. "Mit Fug und Recht kann man ihn als Reporterlegende bezeichnen", sagt der scheidende Kulturreferent Anton Biebl in seiner Würdigung. Vor zwei Jahren habe Stankiewitz selbst in einer Rede gesagt, er müsse nicht 100 Jahre alt werden. Aber neugierig, das müsse er bleiben.
Der Kabarettist Christian Springer schwärmt und mahnt
Und als neugierig, so beschreiben ihn an diesem Tag alle. Drinnen bei den Reden – und draußen, wo sich die Trauergäste Geschichten voller Respekt vor dieser Lebensleistung erzählen. "Er war nicht nur bis ins hohe Alter am Leben", so sagt es Biebl, "er war tatsächlich lebendig."
Christian Springer, der Kabarettist und enge Freund von Karl Stankiewitz, sagt in seiner Ansprache: "Der Karl hat schlecht gesehen und schlecht gehört – aber er war nie ein alter Mann."
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Thomas Stankievicz, der Sohn, hat Springer zu Beginn als "Freund und Mahner" angekündigt – und tatsächlich mahnt Springer. Dass man die Demokratie verteidigen müsse und werde, das habe er Stankiewitz versprochen. "Und Ihnen rate ich, mehr Stankiewitz zu lesen, einen Reporter, einen Autor, der besessen war vom Schreiben, besessen war von dieser Stadt."
Kündigung mit 93, "das schafft keiner!"
Springer sagt lächelnd, Stankiewitz hätte ihn heute hier sicher gerügt, er könne ihn doch nicht mehr einen Journalisten nennen, er habe doch 2022 bei der Abendzeitung gekündigt. "Mit 93!", ruft Springer da in die Aussegnungshalle, "sowas schafft keiner mehr!" Tatsächlich erzählen Wegbegleiter der Reporterlegende an diesem Vormittag am Ostfriedhof:
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"Die Abendzeitung war sein Leben, er hat es später bereut, dass er sich zu früh verabschiedet hat." Früh, so soll er es tatsächlich gesagt haben – und dass man sich das gut vorstellen kann, sagt ja auch schon wieder viel über Karl Stankiewitz. Natürlich hat Stankiewitz dann aber auch in seinen allerletzten Jahren, Monaten, Wochen. Tagen, Stunden weiter gearbeitet, recherchiert, Fragen gestellt – er konnte ja nicht anders. Stankiewitz – kein Chronist, sondern eine "lebende Chronik", so drückt es Biebl aus.
Karl Stankiewitz: Viele konnten sich noch persönlich verabschieden
Die Grabrede hält Max Zeidler, der sich warmherzig und ausgiebig an den Menschen und den Reporter Karl Stankiewitz erinnert. Zeidler ist Jahrgang 1975, im Vergleich also ein absoluter Jungspund.
Er berichtet, wie er 2013 mit seinem Büro aus der Nachbarschaft des Reporters wegzog und sich verabschieden wollte. "Karl sagte: Warum geht denn mein Lieblingsnachbar? Und schlug vor, dass wir in Kontakt bleiben. Wir könnten doch einmal Kajak fahren." Mit über 80 jemandem Kajak fahren beibringen – das ist einer der vielen Momente, an dem die Zuhörer leise lächeln an diesem Tag.
Doch Zeidler erinnert auch sehr ernsthaft an ein Leben mit vielen Schicksalsschlägen, nach einer Trennung vom Vater kehrte die Mutter mit dem kleinen Karl nach München zurück, er wächst teilweise in einem Heim für Scheidungswaisen vorne an der Hochstraße auf, erlebt noch Hitlerjugend und Krieg, sieht, wie die Stadt brennt. Dass es ohne Journalismus keine Demokratie mehr gebe – diese Mahnung von Karl Stankiewitz taucht an diesem Vormittag immer wieder auf.
Karl Stankiewitz hat selbst entschieden, sein Leben (begleitet) zu beenden. Viele erzählen am Ostfriedhof, wie er sich noch verabschiedet hat von ihnen, etwa Deutsche-Eiche-Wirt Dietmar Holzapfel, der sagt, Stankiewitz sei Anfang Dezember in sein Lokal gekommen, um ihn noch ein letztes Mal zu sehen.
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Max Zeidler sagt, Stankiewitz habe ihn und andere Freunde "bevor er selbstbewusst und mit großem Mut" aus dem Leben geschieden sei, noch zu einem letzten Abendessen eingeladen. Natürlich habe man ihn auch gefragt, wohin er denn gehe am nächsten Tag. Karl Stankiewitz war bis zuletzt kein religiöser Mensch. Er habe geantwortet: "Wahrscheinlich gehe ich ins Nirgendwo."
Was Karl Stankiewitz seiner Enkelin als Kind wünschte
Was nun bleibt, sind die Texte, die Bücher von Karl Stankiewitz – und für alle, die ihn kannten, die Erinnerung an einen sehr besonderen Menschen. Hildegard Kronawitter, die Witwe von Alt-OB Schorsch Kronawitter, würdigt Stankiewitz im Gespräch mit der AZ als "einen wunderbaren Menschen, der München in seiner Kultiviertheit, seiner Kritikfähigkeit und in seiner Empathie gerade auch für die schwachen Menschen dieser Stadt verkörpert hat."
Christian Springer sagt: "Er war ein Reisender, auch wenn er gar nicht auf Reisen war", Max Zeidler wiederum erinnert lächelnd daran, dass Stankiewitz einmal als "der George Clooney der Journalisten" bezeichnet worden sei.
Und seine einzige Enkelin Tania Seifert berichtet wunderbar warmherzig von ihrem Opa. Nach dessen Tod habe sie ein altes Poesiealbum gefunden. Als sie gerade mal zehn Jahre alt war, habe er ihr geraten, immer viel zu fragen – so wie eine Journalistin. "Dann wirst du erfahren, wie schön und wie gefährdet diese Welt ist."